FUTURE-Beilage der Wiener Zeitung

Besuch in der Informatik-Hauptschule Jennersdorf

Das Schweizermesser des Unterrichts

Mit dem Ende der Kreidezeit verbinden wir an sich das Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren. Doch auch der guten alten Schulkreide könnte in ihrer Rolle der unterstützenden Wissensvermittlung bald das letzte Stündlein schlagen. Werden Smart-Boards, iPads und PCs bald den Schulalltag bestimmen und als digitale Unterrichtshilfen den Kreidestaub endgültig aus dem Klassenzimmer verbannen? Um der Frage auf den Grund zu gehen, hat „Future“ einen Ausflug ins südliche Burgenland gemacht, wo sich im Ort Jennersdorf eine Schule befindet, die im Jahr 2010 die erste iPad-Klasse Österreichs abhielt.

Seit fast 10 Jahren leitet Dir. Hannes Thomas die Hauptschule in Jennersdorf. Er hielt das erste iPad schon in Händen, als der Tablet-Computer des US-Herstellers Apple in Österreich noch gar nicht auf dem Markt war. Schnell erkannte Thomas die Vorteile des tragbaren Geräts mit dem berührungsempfindlichen Bildschirm, das sich mit anderen Geräten vernetzen kann. Er sah ungeheuer vielfältige Einsatzmöglichkeiten für den Unterricht und unterbreitete den iPad als „das Zukunftstool für unsere Schule“ dem Landesschulrat. Das Unterrichtsministerium kaufte die Idee. Es stimmte dem Pilotprojekt zu und stattete die Schule mit 22 iPads für Schüler und fünf für Lehrer aus.

Was Begeisterung in der Schule auslöste, ist heute Programm. Heute arbeiten über 100 Schüler mit dem iPad, ebenso wie 18 von 40 Lehrkräften. „Für das kommende Schuljahr haben sich außerdem bereits 44 von 60 Erstklässlern für die iPad-Klassen angemeldet. Somit wird es dann insgesamt sieben iPad-Klassen geben“, zeigt sich der Schuldirektor erfreut, zumal auch die Akzeptanz der Eltern voll und ganz gegeben sei. Bezahlt wird mittlerweile selbst. Ähnlich wie die Schulbücher wollen die Schüler das Gerät nicht leihen, sondern besitzen. 42 Eltern haben die Tablets gekauft, zwei entschieden sich für eine Leasing-Variante.

Eine Fülle von Funktionen

„Für uns ist das iPad fast wie ein Segen. Faszinierend ist auch, mit welcher Selbstverständlichkeit die Schüler damit umgehen. Es ist wie ein Schweizermesser mit einer Fülle von Funktionen, die den Unterricht bereichern und das Verständnis erleichtern“, sagt Thomas, der im selben Atemzug jedoch darauf aufmerksam macht, dass das Tablet keineswegs das Heft, das Buch, den Stift oder die Schultafel ersetze: „Es ist ein großer Irrglaube zu meinen, wir kleben den ganzen Tag am iPad und spielen uns durch den Unterricht.“ Vielmehr liege der Mehrwert im Multimedialen: Der Tablet-Computer dient als Taschenrechner, Musikinstrument, Nachschlagewerk, Recherchehilfe, Messgerät, Fotoapparat, Videokamera, Englischlexikon, das die Aussprache akustisch vermittelt, Videotool für Schulfilme, Planer zur visuellen Darstellung von Themengebieten – und als Bibel.

Wie iPads sinnvoll zum Einsatz kommen, zeichnet sich in einer GW-Stunde zum Thema Erdbeben ab. Nach einleitenden Erklärungen des Lehrers illustriert ein kurzes Video auf dem Tablet-PC die Auswirkungen eines Erdstoßes. Danach verwandelt sich das iPad mit Hilfe einer entsprechenden App zum Seismographen: Ein Schlag mit der Faust auf den Tisch, und der Seismograph schlägt aus. Es folgt eine kleine Internetrecherche, die aufzeigt, wo gerade ein Erdbeben gemessen wurde. Das iPad war gerade einmal fünf Minuten im Einsatz. Aufgrund der Plastizität und der Eindringlichkeit der digitalen Lernhilfen, die in wenigen Sekunden abgerufen und verinnerlicht werden können, wird diese multimediale Unterstützung als Bereicherung für den Unterricht empfunden. Zumindest lassen die Gesichtsausdrücke der Schüler immer wieder auf kleine Aha-Erlebnisse schließen. Oder, wie Hannah Jud aus der 3b zusammenfasst: „Ich bin schon seit der Ersten in der iPad-Klasse und ich kann mir das Lernen ohne iPad gar nicht mehr vorstellen. Wenn wir zum Beispiel in Chemie das Periodensystem durchnehmen, da gibt es keine starre Tafel, am iPad gibt es zu den Elementen tolle Animationen und 3D-Modelle und kurze Texte, die man sich leicht merken kann.“

Der „Papierflieger“

Auch die Lehrer nützen Apps, die das gemeinsame Lernen fördern. In einer Programmierer-Gruppe hat die Schule in Kooperation mit der Firma Case Apps sogar eine eigene App, den „Papierflieger“, entwickelt. Der Papierflieger ist auf die Kommunikation innerhalb der Klasse zugeschnitten. Inhalte, die normalerweise an die Tafel geschrieben werden, können über die drahtlose Internetverbindung Wireless-LAN an die Schüler weitergegeben werden, ohne dass sie von der Tafel abschreiben müssen. Mit dem Papierflieger kann jeder Inhalte von einem zum anderen schicken, der Lehrer zum Schüler, der Schüler zum Lehrer oder die Schüler untereinander. Ein Beispiel ist die Überprüfung des Erlernten während der Unterrichtsstunde: Am Ende der Stunde stellt der Lehrer via Papierflieger noch schnell drei Fragen, die Schüler schicken die Antworten umgehend zurück. „Das bringt sofort einen Überblick, ob die Schüler die wesentlichen Inhalte verstanden haben, oder ob etwas wiederholt werden muss“, so Direktor Thomas.

Hannes Thomas freut sich natürlich auch, dass die Gemeinde als Schulerhalter gutes Geld in die Bildung investiert. „Wir haben Sonderräume mit Computern, mittlerweile zehn Smartboards und über W-LAN fast in der ganzen Schule Internet, dessen Kapazität aber aufgrund der steigenden iPad-Nutzung immer wieder ausgebaut werden muss“, sagt er.

In den Sonderräumen, etwa für Physik oder Musik, kommen Smart Boards zum Einsatz. Diese Tafeln sind wahre Alleskönner. Vereinfacht gesagt handelt es sich dabei um mit Computern verbundene elektronische Tafeln. Fingerberührungen werden als Mauseingabe interpretiert, geschrieben und gezeichnet wird entweder mit kabellosen Stiften oder über die Computer-Tastatur. Über jedes vom Computer angezeigte Bild lassen sich handschriftliche Ergänzungen oder Anmerkungen legen. Ein Schwamm löscht alles Handschriftliche. Lehrer können das entwickelte Tafelbild auch speichern, um es in einer späteren Unterrichtsstunde weiterzuverwenden oder den Schülern als Lernunterlage zur Verfügung zu stellen. In Jennersdorf können sämtliche Darstellungen auch auf die iPads übertragen werden. „Ein Drittel der Lehrer verwendet das Smartboard täglich, ein weiteres Drittel nutzt es als Ersatz für die klassische Tafel – der Rest benutzt es gar nicht“, fasst Thomas zusammen.

Im kommenden Schuljahr werden bereits die Hälfte aller Schüler in der Informatikhauptschule Jennersdorf in einer iPad-Klasse sitzen, das unnachahmliche Geräusch, wenn eine ganz normale Kreide über die Tafel schleift, aber weiterhin genießen dürfen. Denn in den Standardklassen bleiben die klassischen Tafeln bestehen – die Kreidezeit ist also noch nicht vorbei. Was sich Direktor Hannes Thomas für die Zukunft wünscht? „Eine möglichst enge Kooperation mit den Schulbuchverlagen“. Seine Vision sind Apps der Verlage für das iPad, die ein Schulbuch adäquat ersetzen. „So ein großes, virtuelles Buch, das exakt dem Lehrplan entspricht, wäre super. Ein Buch, das lebt. Ein Buch, mit dem ich mehrere Lerntypen von Schülern ansprechen kann – sowohl Visuelle als auch Auditive.“

Von Helmut Ribarits